Nachspiel
Wenn zufällige Passanten zu Zeugen zu Mitwissern zu Auftraggebern zu Tätern werden. Welche Wahrheit glauben wir?
Erschienen in „Theater, théâtre, theater, Theater 2“, bei Hydre Éditions 2024
Alter:
Erwachsene
Personen:
2 - 3 Personen
2H
Dauer:
Abendfüllend
Uraufführung:
Oktober 2000
Schauspiehaus Wien
Raoul Biltgens erstes Theaterstück und erste Uraufführung am 2. Oktober 2000 am Wiener Schauspielhaus.
A und B sind Freunde. Sie erzählen von einem Spaziergang im Winter an einem eiskalten Januartag an einem See. Sie haben Fotos gemacht, sie knipsen hie und da und sehen plötzlich durch ein Objektiv ein junges Paar. A und B waren anscheinend Zeugen eines Mordes? Auf den Fotos ist alles unscharf, aber die Sache hat ihnen keine Ruhe gelassen und sie haben zuerst eine Hand aus dem Eis ragen gesehen und schließlich die Leiche herausgezogen. Was jetzt? Sie machen brav die Anzeige, sie werden aber immer verdächtiger. Was tun? Wie redet man sich heraus?
Aufführungsrechte: Thomas Sessler Verlag
Abgedruckt erhältlich in „Theater, théâtre, theater, Theater 2“, erschienen bei Hydre Éditions 2024
Pressereaktionen
Wiener Zeitung vom 4.10.2000 zur Uraufführung
„ … Den vielversprechenden Auftakt im winzigen Theaterlabor ohne Bühnenpodium machte das von Thomas Dittmar mit Simon Hatzl und Horst Heiß flott in Szene gesetzte „Nachspiel“ von Raoul Biltgen. Der 1974 in Luxemburg geborene, gegenwärtig in Bregenz lebende Autor bedient sich in seinem Erstlingswerk, einem „kurzen Stück Theater“ für zwei Schauspieler, mit bemerkenswerter Treffsicherheit altbewährter thematischer und theatraler Strukturen, die er mit Sprachwitz und komödiantischem Geschick neu zu präsentieren versteht. Nicht von ungefähr ist er gelernter Schauspieler.
Der Anfang stimmt auf Slapstick-Unterhaltung ein. Doch bald schon wendet sich das Blatt, obwohl die Geschichte allemal unterhaltsam bleibt. Ein (Komiker?)-Paar ohne Eigennamen – A „redet und redet“, B „redet auch, doch schweigt schon mal“, beide in roten Hosen, der eine großgewachsen, der andere deutlich kleiner – bemüht sich, jeder für sich, den Zuschauern deutlich zu machen, was am 27. Jänner 2000 bei einem Spaziergang rund um einen zugefrorenen See passiert ist. Die begeisterten Amateurfotografen hatten ja ihre Kamera dabei, um das damals Geschehene zu dokumentieren. Was es mit dem Mord und der aus den Eisschollen herausragenden Frauenleiche auf sich hat, lässt sich nicht so einfach und schon gar nicht eindeutig eruieren. Die beiden „Zeugen“ (?) beharren auf ihrer jeweils eigenen, zusehends widersprüchlicher werdenden Wahrheit, die bis hin zur pointiert-oszillierenden Schlusswendung weitere Wahrheitsspekulationen möglich macht . . .
Mit seiner Absage an eine zweifelsfreie Krimi-Lösung befindet sich Biltgen in bester Gesellschaft: Hat doch bereits Akira Kurosawa in seinem Filmklassiker „Rashomon“ virtuos aufgezeigt, dass die Frage nach der objektiven Wahrheit nicht zu beantworten ist. … “
Auszug
…
B: Als wir am 27. Januar am See entlang gingen, einem kalten Tag, der das Wasser am See gefrieren ließ,…
A: Natürlich könnte ich jetzt sehr leicht behaupten, das Eis am See, die geborstenen Eisschollen, soweit von Schollen die Rede sein kann bei der Dicke dieser Schollen, ist eine Scholle eine Scholle, wenn sie nur wenige Zentimeter dick ist?, sagen wir einmal zwei. (zu B:) Na sag schon zwei. Also, zwei. Moment, also, ob Schollen oder nicht Schollen, ich könnte natürlich jetzt sehr leicht behaupten, diese Teile unbekannter Bezeichnung aus gefrorenem Wasser, schwimmend auf nicht gefrorenem Wasser, diese Eisplatten, diese kalten Platten, wenn man so will, Moment, bald komme ich zum Schluß, wirklich ehrlich, ich will nur eben so präzise wie möglich. Quizfrage: wer weiß noch, wie ich angefangen habe?, Moment, jetzt weiß ich selber grad nicht, also, doch, diese Dinger hätten gesungen. Könnte ich behaupten. Sehr malerisch, nicht wahr. Lautmalerisch. Ich nehme meinen Pinsel und male Noten auf den See, auf das Eis. Aber. Ich könnte so poesievoll sagen, aber sage ich nicht, weil, altes Bild, hundertmal verwendet, wen kümmert’s, mich nicht, hat hier ja auch nicht so viel verloren, deshalb sage ich: diese Eisplatten, diese kalten Platten, als ich da also am See entlang…
B: Als wir.
A: Ja. Richtig: wir. Die sind durch den Wellengang so ein wenig aneinander gerieben, und das hat dann ein Geräusch verursacht, das sehr oft von Menschen dichterischer Berufe als „Singen“ des Eises bezeichnet wird. War aber eher ein Knirschen. Eher. Bin ja auch kein Dichtender. Ich geb zu, ein helles Knirschen. Kein Singen. Vielleicht war es ein Summen, wenn ich es mal sehr gut meine mit den musikalischen Bildern, die von Menschen dichterischer Berufe abgelutscht werden. Keine Angst, ich werde jetzt nicht mich auslassen über dieses neue Bild, das ich da so unverfroren, eingefroren, eingeführt habe, von wegen lutschen und so. Also, Moment, da bin ich also unterwegs…
B: Wir.
A: Ja. Das Eis gibt Geräusche von sich, ich auch, sprich meine Füße auftretender Weise in den Schnee, eintretender Weise, ich halte da in meinen Händen…
B: Nein.
A: Nein, stimmt. Stimmt nicht ganz, ich halte da über meiner Schulter meine Tasche, die schwarze, die extra für den Zweck konzipiert wurde, fotografische Ausrüstungen nicht ganz so ausufernder Art zu transportieren. Diesem Zweck werden ich und meine Tasche gerecht; es befindet sich in ihr ein Fotoapparat älteren Baujahres, so einer.
(B zeigt die Tasche, den Fotoapparat, alles, was A auch im folgenden angibt und führt die Funktion des jeweiligen Gegenstandes kurz vor.)
A: Da kuckt man oben rein, und dazu ein ziemlich neuer Lichtmesser, genau am Tag vorher gekauft, für wer es wissen will. Dazu noch ein Deo, na ja, und auch diverse Wurmfortsätze objektiver Art für das Apparatum und Linsen, gelb und rot, und Papier und Bleistift und Kugelschreiber und, ist auch nicht so jetzt, also, ist egal, ach, heute ist das unmöglich mit mir, ich rede und rede und rede, und das so in diesem Moment auch noch, von wegen, doch ein wenig das Lampenfieber, also, ich schwafle da völlig unwichtiges, also, nur so Zeug, jetzt reiß dich doch mal, also, aber wirklich, unmöglich. Wo bin ich denn? Wer? Aber, aber wie gesagt…
B: Schluß jetzt.
A: Ja, ja, Schluß jetzt.
…